Archiv des Autors: Biegenzahn

#306: Nancy „shattered love“

Jean-Luc Nancy ist ein ein französischer Philosoph, Schüler von Derrida und ein Verfechter darin, dass es die Philosophie als ein einheitliches Erscheinungsbild oder Weltbild nicht gibt. Er nennt es Dekonstruktion, und will damit vermitteln, dass wir, unsere Welt und unser Denken aus Fragmenten besteht, wir sehen uns nach einem vermeintlichen Ganzen, jedoch ist sie für Nancy eine Illusion. Da wir uns in der Welt der Globalisierung und dem gegenseitigen Wettbewerb mehr ausschliessen, als zusammenschliessen.

Ich habe ein sehr grobes Bild von Nancy gezeichnet, da es mir weniger um sein gesellschaftspolitisches Denken geht, als um den Text „shattered love“, den ich gelesen habe. Wer glaubt hier einer linearen Linie folgen zu können, der irrt und so scheint es auch darum zu gehen, dass Liebe und Denken viel miteinander zu tun haben beziehungsweise Voraussetzung für das Eine, wie das Andere sind. Und wenn Nancy schreibt, dass schon so viel über die Liebe gesprochen wurde, dann hat er absolut recht, und trotzdem ist es unmöglich eine Festschreibung zu finden. So viele Essenzen, Fragmente und Erscheinungen, wie dieses Wort an den Tag legt, und doch sind sie bei weitem nicht ausreichend.

Nancy spricht nicht von „shattered love“, weil er daran nicht glaubt, sondern weil es unmöglich ist Liebe zu kennen, der nicht schon ein gebrochenes Herz hatte. Das gebrochene Herz ist dort wo eine Definition beginnen könnte, jedoch ohne jemals vollendet zu werden. Aber Nancy versteht das Beginnen auch nicht als einen Anfang oder Startpunkt, aber dort wo wir Zugang erhalten. Nancy versucht das Undenkbare in Worte zu fassen, ist aber auch sehr in der Gedankenwelt der westlichen Welt gefangen. Liebe als Sein und Sein als Liebe.

#305: Mein Held die Arabistik-Studentin

Italiener sind volksverbindend. Heute Abend habe ich die Enoteca Bortolotti (Trento) – und ich weiß noch nicht mal, ob man das so nennen darf, kann oder soll, besucht. Auf ein paar Aperol Sprizz und eben einer Piato Grande – beides übrigens sehr zu empfehlen. Der Beinschinken ist ein Traum und das italienische Personal entzückend freundlich. Dieses Lokal ist wahrscheinlich das Highlight von Kaisermühlen (neben dem Vorstadtwirt).

Und ich muss sagen, dass ich mich schon seit langem nicht mehr so amüsiert habe. Nicht nur, dass wir das ausgesprochene Glück hatten, neben einer bekennenden „Hofer“-Wählerin zu sitzen, die an dem Abend ihr „Baby“ – eine Arabistik/Islamistik-Studentin – kennenlernte, auch die „Haute-Volete“ von Kaisermühlen beehrte uns. Wobei mich die Mrs. Hofer – eine unwahrscheinlich starke und selbstbewußte Frau – am Meisten beeindruckte. Kein Fettnäpfchen war zu groß oder zu klein, welches sie siegessicher anstrebte. Aber am Besten gefiel mir, dass sie es als Schicksal empfand, dass sie justament an diesem Abend die „Muslimentante“ (O-ton zur Arabistikstudentin) kennenlernte, mit der sie übrigens seit 15 Uhr Nachmittags Prosecco trank. Wir empfanden das schon als brückenbauend.

Mr. Bodybuilding aus Kaisermühlen, der kurzweilig zwischen unseren Tischen saß, unserem und dem Arabistik/Hofer Tisch, konnte mit Zitaten aus dem Kaisermühlen Blues brillieren. Unisono waren wir uns alle einig, schlechter als heute soll es uns niemals gehen. Und schlußendlich findet Mrs. H. ihr Baby auch super, weil sie ist so schön Wienerisch und trinken kann man mit ihr auch. Eigentlich hätte ich wohl so manche Statements aufschreiben sollen. Es wäre ihr nicht gerecht geworden. Aus dem Kontext gerissen. Wer es erleben will, sollte regelmässig raus gehen und zwar nicht in die schönen hippen Bobo-Blasen (wie im Vice beschrieben), sondern dorthin, wo es weh tut. Auch wenn man die Komfortzone verlassen muss, tut es gut, es vor allem dann mit einem guten Glas Wein und gutem Essen zu tun.

Und wenn die Gräben vermeintlich tief scheinen, so sind es die Brücken, die wir bauen, um dem anderen zu ermöglichen zaghaft einen Blick rüberzuwerfen.
Zurück zur Enoteca: wirklich zu empfehlen ist das vegane Eis beim Bortolotti. Gaumensex, wie man heute so schön sagt.

Gaumensex wären dann sicher auch die zwei vermeintlich homosexuellen Araber gewesen, die wir vor der Türe getroffen haben und noch unschlüssig waren, ob sie hineingehen sollten. Für die Konstellation im Lokal unwahrscheinlich großartig. Ein jeder Kabarettist hätte seine wahre Freude gehabt, aber leider wie so oft, verbleibt einem dann nur mehr das Kopfkino.

In dem Sinne, empfehle ich wirklich aus tiefsten Herzen meinen Lieblings-Eis-Italiener Bortolloti in Kaisermühlen.

#304: Moralität in unmoralischen Szenarien Teil 2

In den letzten 3 Wochen beschäftige ich mich zwischen 1 bis 2 Stunden täglich mit einer Situation in der Klasse meines Juniors, die für die Kinder, Lehrer und Eltern zu einer täglichen Belastungsprobe werden. Ich bin Elternvertreter-Stellvertreter und somit Sprachrohr der Eltern und in nächster Konsequenz der Kinder.

Ein Kind ist in der 1. Klasse Volksschule auffällig. Zu Beginn waren es Kleinigkeiten mal ein bisschen schimpfen, schubsen und stören. Seit 3 Wochen jedoch eskaliert täglich die Situation in der Klasse. Ein 7jähriger der keinerlei Grenzen gegenüber Lehrer und Kindern mehr wahrnehmen kann. Kinder und Lehrer werden bespuckt, nass gespritzt und mit Wasser übergossen. Der Sprachgebrauch von „Halt die Fresse, A…“ ist wohl noch das Harmloseste. Wesentlich dramatischer sind die physischen Übergriffe von Judowürfen und Schlagen.

Lehrer und Eltern (nicht nur ich) sind täglich Gast in der Direktion und haben auch schon mit den Eltern des betroffenen Kindes gesprochen, dass offensichtlich eine Störung hat. Suspendierungen dürften eigentlich erst ausgesprochen werden, wenn tatsächlich etwas passiert „passiert“. Unterstützung der Lehrer und Schule ist angefordert, aber dauert. Der Mangel an Schulpsychologen und Unterstützungslehrern spüren wir täglich. Unsere Kinder sind in einem unmoralischen Szenario gefangen und wir Eltern versuchen immer noch das Richtige zu tun. Das Richtige für unsere Kinder und auch das Richtige für dieses Kind. Aber wie weit dürfen wir es kommen lassen?

Alleine wenn ich mir die Situation durch den Kopf gehen lasse, überlege, was schon alles passiert ist, frage ich mich, wieso die Eltern des Kindes nicht handeln? Ist es ausreichend jederzeit verfügbar zu sein, um das Kind aus der Schule abzuholen? Ist es ausreichend sich den Eltern und Kindern zu stellen, um freundlich zuzuhören? Ich beneide diese Eltern nicht. Ich frage mich wie hilflos und machtlos ich mich fühlen würde.

Für Situationen, wie diese gibt es keine Handlungsanleitung, die wir – Kinder, Lehrer und Eltern – benötigen würden. Wie können wir moralisch richtig und verantwortungsvoll handeln? Ist der Weg zum Stadtschulrat um die Bürokratie in Gang zu setzen der richtige Weg? Wir verlieren nur wichtige Zeit, weil von oben geht wieder alles nach unten, um dann wieder hinauf zu wandern.

Heute morgen sind mein Junior und ich mit Bauchweh in die Schule gefahren, weil wir nicht wissen, was heute wieder alles passieren kann. Kein gutes Gefühl gefangen zu sein.

#303: Moralität in unmoralischen Szenarios

Hört sich wie ein Paradoxon an, aber in der Wissenschaft ist alles denkbar und in der Realität sowieso möglich. Zur Zeit beschäftige ich mich damit, wie und wo wir moralisches Verhalten in unmoralischen Szenarios vorfinden können. Da gibt es zum Beispiel das Trolley Beispiel von Philippa Foot. Man stelle sich vor, dass ein Zug auf einem Gleis auf 5 Arbeiter zufährt, es gibt keine Möglichkeit diese zu warnen oder den Zug zu bremsen. Du stehst daneben und kannst einen Weiche stellen, damit sie auf das Nebengleis fährt, dort steht nur eine Person, die getötet werden wird, wenn du die Weiche umstellst. Wie entscheidest du?

Oder ein Zug fährt auf einem Gleis auf 5 Arbeiter zu, es gibt auch hier keine Möglichkeit diese zu warnen oder den Zug zum Anhalten zu bringen. Du stehst auf einer Brücke und eine Person steht neben dir, die wenn du sie herunterstößt den Zug zum Anhalten bringen würde. Wie entscheidest du?

In Fall 1 würden andere dazu tendieren die Weiche umzustellen, in Fall 2 hingegen gibt es eine breite Ablehnung dazu! Ist das Endergebnis nicht gleich, 5 Personen werden gerettet gegenüber 1 Person nicht. Wir spüren die Widersprüchlichkeit der Beispiele, wenn auch 5:1 am Ende steht.

Warum sind diese Überlegungen wichtig? Die Sensibilisierung was ganz platt gesagt „Richtig“ und „Falsch“ sein kann, muss immer wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Wo sind Grenzen, wo überschreiten wir sie eventuell auch täglich. Können wir überhaupt von Moral sprechen, oder ist es vielmehr der Versuch Ausreden zu finden, um unser Gewissen zu beruhigen?

#302: wie die Zeit vergeht

Und schon ist es wieder Frühling und alles verändert sich. Über Ostern waren wir in London und als wir abends zurück ins Hotel kommen, sitzt neben unserer Türe eine alte Dame mit 2 Taschen am Boden. Der Rücken gekrümmt und die Schultern nach vorne hängend, musste ich sie fragen, ob den alles in Ordnung sei und ob ich ihr helfen kann. Mit sehr leiser Stimme wies sie auf die Türe hin und meinte, dass sie es nicht schaffen würde, diese zu öffnen. Die Dame hatte einfach bei der falschen Türe versucht hineinzukommen, also nahm ich ihre Taschen und wir gingen zu dem Zimmer, dass sie eigentlich bewohnen sollte. Trotz ihres langen und dicken Daunenmantel merkte ich, wie zerbrechlich und unsicher sie war. In ihrem Zimmer half ich ihr aus dem Mantel und stellte die Taschen ab. Sie stand in der Mitte des Raumes und sah das große Bett an. Sie war müde, so sehr müde und doch stand sie jetzt mitten im Raum und wußte nicht, was sie zuerst tun sollte. Ihre Unsicherheit traf mich, und nochmals fragte ich sie, ob mit ihr alles in Ordnung wäre. Und auf einmal fing sie an zu weinen und erzählte mir wie traurig sie sich fühlt.

Ihr Mann ist schon vor längerer Zeit verstorben und sie ist alleine in einer Kleinstadt, wo sie sich nicht wohl fühlt. Sie musste von dort fort, hat den Neid und die Missgunst gespürt und gehört. Und glaubt ausgeschlossen zu sein. Sie erzählte mir von einem Haus und von Land und von dem Wegwollen. Als mein Telefon läutete, straffte sie ihre Schultern und sie bedankte sich formvollendet, als ob sie sich ihrer Schwäche auf einmal bewusst geworden wäre. Ich war entlassen.

Und trotzdem am nächsten Morgen musste ich an die alte Dame denken und wollte nur kurz nachsehen, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Vielleicht war es nur ein Gefühlsausbruch und alles schon wieder so, wie es sein sollte. Ich ging nach dem Frühstück zu dem Zimmer und vor der Türe in der Ecke stand sie mit dem viel zu großen und dicken schwarzen Daunenmantel. In der Ecke, wie ein Kind, dass etwas angestellt hatte und vor lautern Scham sich nicht bewegen wollte. Behutsam sagte ich guten Morgen und ich fragte mich, ob sie schon seit letzter Nacht vielleicht vor der Türe stand. Als sie mich sah, löste sie sich von ihrer Ecke und bat mich um Hilfe. Sie brauchte mehr als nur in ihr Zimmer wieder zu kommen, sie musste mit jemanden reden. Also hörte ich zu. Einerseits wirr und andererseits klar formulierte sie, wonach sie suchte. Ich konnte sie überzeugen, dass wir zur Rezeption gehen sollten, um Hilfe zu holen. Händchenhaltend gingen wir hinunter. Ich spürte ihren festen Griff, der Halt suchte.

Die Damen an der Rezeption (PremierInn St. Pancrass) waren wunderbar und einfühlsam und nachdem Eine von Ihnen französisch mit ihr sprach, schöpfte sie Vertrauen. Wie ich später erfuhr, hat sie ihre Medikamente vergessen einzunehmen, wodurch sich ihre Verwirrung verstärkt hat. Zeit schien für die Frau ein dehnbarer Begriff und Moment geworden zu sein.

Alter ist nicht nur Zeit, die vergeht. Sie nagt auch an uns. Aber es sind auch die Menschen rund um uns herum, die einem die Hand geben, um uns zu halten, die uns mit festen Schritten begleiten. Ich versuche heute so ein Mensch zu sein, und es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich es immer schaffe und bin, aber ich versuche es, und ich hoffe darauf, dass ich eine Hand finde, wenn ich sie brauche.

#301: Was ich nie hören wollte!

Letztens war ich Zuhörer in einem Gespräch zwischen zwei jungen Mädels und einem Burschen, der versuchte Erkenntnisse zum weiblichen Geschlecht zu erhalten. Und wie sagt meine Papa immer so schön, Kinder und Alkoholisierte sprechen die Wahrheit und so schien des auch die Hoffnung des jungen Manns zu sein, dass selbst durchaus geöffnet, er auch endlich Insights erhalten könnte.

Wobei ich zwischenzeitlich schon etwas Mitleid hatte mit dem Burschen, weil die zwei Hübschen ihn zu Beginn sichtlich ignorierten.

Er: „Eigentlich wollte ich ja zwischen Euch Zwei sitzen!“ (schmollend)
Sie ignorieren ihn und reden über die Hoffnungslosigkeit des Verliebtseins und erster großer Liebe.
Er: „Weil ich gehofft hatte, dass ich Euch Zwei ein bisl begrapschen kann.“
Sie ignorieren ihn immer noch.
Er: „Ihr kennt Euch doch aus …“
Er: „Darf ich Euch was fragen, weil ich habe da ein Mädel kennengelernt.“
Sie ignorieren ihn und sind im emotionalen Zustand der Erinnerungen (dh. es wird geheult).
Er: „Heast“ (schon etwas aufgebracht, weil sie ihn ignorieren) „ich kann dir genau sagen, warum der Typ so ein Arsch ist.“ „Ich kann dir das sagen, weil ich weiß, wie die Männer denken.“ „Du soll ich dir das sagen?“
Endlich scheint Dynamik in die Situation zu kommen und beide drehen sich zu ihm.
Sie: „Was weißt du schon, nix weißt du.“
Er: „Männer sind so, ihr ward nicht mehr zusammen, also hat er Sex. Punkt. Egal, wer sich da anbietet, wenn sie geil ist.“
*Die Sprache ist hier durchaus gewählter ausgedrückt, als sie tatsächlicher war.*
Sie schauen ihn einfach fassungslos an.
Er: „Ich hab da ein Mädel kennengelernt. Was muss ich machen (WAS JETZT KOMMT, DA WUSSTE ICH NICHT SOLL ICH LACHEN ODER IHM EINE KURZ DRÜBERZIEHEN.), damit das Mädel mich gut findet und A L L E S macht, was ich sexuell will?“
Sie schauen ihn noch immer fassungslos an.
Sie: „Geh ja nicht mit ihr einen Kaffee trinken, immer wollt ihr nur einen Kaffee trinken. Das kotzt so an. Immer immer wirklich nur einen Kaffee trinken. Wenn du sie gut findest, dann mach‘ was spontanes, schönes, von mir aus gehts Bungee Jumping.“ (Ja war nicht die Antwort direkt auf die Frage …)
Er: „Und ich dachte, ich lade sie nach Hause zu mir ein und dann rauchen wir was …“
Sie schauen ihn nicht einmal mehr an und ignorieren ihn wieder.

In diesem Moment fühlte ich mich wirklich alt. Nämlich alt, alt. So alt, wie ich persönlich immer meine Eltern gesehen habe und zwar schon mit 12 Jahren. Und ich überlegte, wohin ich meine Prinzessin schicken könnte, welches Bergkloster wohl am geeignetsten wäre. Leider habe ich für die zweite Überlegung noch keine Lösung gefunden.

Meinen spontanen Alterungsprozess habe ich würdig mit einem Otto Schenk Besuch gefeiert.

#300: Buben-Mädchen-Mama

Weil ich letztens erst beim Thema Feminismus war, habe ich bemerkt, wie weit wir teilweise als Eltern davon entfernt sind. Ich habe meinen beiden Kindern immer gesagt, dass sie beide gleich viel können und gut können, wenn sie wollen. Dass es keinen Unterschied macht, ob sie einen Penis, keinen Penis, lange oder kurze Haare haben, rosa, blau oder glitzer lieben. Und doch komme ich immer wieder in die Bedrängnis Schubladen zu öffnen. Sei es um meiner lieben Tochter zu erklären, dass sie sich nicht unterbuttern lassen soll, dass sie zum Beispiel auch Fussballspielen kann und soll. Es war nicht einmal der Fall, dass am Hartplatz in der Schule die Burschen der anderen Klassen sie verjagt oder ausgeschlossen haben. Sogar beim Sommerfest hat ein übermotivierter Vater die Mädchen (mit meinem Mädchen) vertröstet, weil es ja jetzt um ein Spiel geht. Da ich weder in dieser Runde damals einen zukünftigen Ronaldo, Messi oder gar Polster gesehen habe, erschloss es sich mir nicht ganz, warum dieses Spiel so viel wichtiger war, als der gemeinsame Spaß an einem Sommerfest. Da aber meine Eltern mir gute Manieren beigebracht haben, habe ich auf weiterführende Diskussionen verzichtet. Bis auf ein paar Kommentare, Bemerkungen und subtile Zwischentöne war ich sehr erwachsen.
Auch meinem Sohn erkläre ich immer, dass Mädchen alles genauso gut können, wie er. Im Kindergarten gab es nämlich eine Mädchenband und und eine Bubenbande, wobei die Buben die Mädchen gefangen haben und dann in Fantasiegefängnissen festhielten. Zu Beginn war er ja nur in der Bubenbande, weil Mädchen eher blöd sind. Mein ständiges Einreden, dass Mädchen auch super stark, toll und überhaupt sind und wahrscheinlich eher die Tatsache, dass Emily ein robustes hübsches Mädchen seine Aufmerksamkeit hatte, brachte ihn dazu später in die Mädchenbande zu wechseln, um sie zu beschützen. Woher kommen diese Klischees? Emily musste mit Sicherheit nicht beschützt werden und wollte das wahrscheinlich auch nicht.

Mein Sohn macht, wenn er jemanden nicht mag, keinen Unterschied in seinem Benehmen der Person gegenüber. Der oder die können dann schon mal grob behandelt werden, aber es ist trotzdem ein Problem. Weil Burschen dürfen sich gegenseitig hauen, aber Mädchen und Buben, da wird es schon schwieriger. Und natürlich erklärt man seinen Kindern, dass man generell niemanden wehtun darf, soll oder wie auch immer. Auch wenn der andere angefangen hat. 6jährige sind da noch etwas resistent gegenüber solchen Einwänden. Und auch meine 12jährige schafft es nicht sich umzudrehen und zu gehen, sondern eckt dann an, halt verbal, aber ist das besser? Noch nicht mal ich – siehe oben – kann immer über den Dingen stehen. Dazu braucht es Vernunft und eine Distanz. Deshalb ist es mir auch wichtig, dass meine Kinder verstehen, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, so wie es Unterschiede zwischen uns Menschen gibt, und auf die müssen wir Rücksicht nehmen.

#299: Feminismus

Ich war heute Abend beim NZZ.at Clubabend zum Thema Feminismus und seiner neuerworbenen Beachtung nach Köln. Das Thema ist ein Schwieriges. Nicht nur, weil die mediale Berichterstattung sehr zu hinterfragen ist, angefangen von einer spürbaren Unsicherheit von und in Qualitätsmedien bis hin zu den widerlichen Titelseiten (weiße Frau und schwarze Hand), sondern auch durch Vereinnahmung von Frauenrechten durch alle möglichen ideologischen Seiten.

Und wenn aus dem Publikum quasi festgestellt wird, dass der Feminismus schon viel erreicht hat, da wir einen Pograpsch-paragraphen haben – übrigens die Deutschen nicht -, dann ist wohl die Decke lange nicht erreicht. Auch die Herrschaften vor mir, älterer Herr mit Frau Gemahlin, schüttelten immerwährende den Kopf, vor allem bei Fr. Ablinger, wenn sie über Frauenrechte und Opferschutz, Frauenhäuser usw. sprach. Und man muss nicht, wie Fr. Walterskirchen sagte, die gleiche ideologische Brille teilen, sondern es geht um Respekt und Werte. Und gerade deswegen ist es wichtig zu schätzen, was so viele Frauen und auch Männer für Frauen- und Menschenrechte tun.

Feminismus als Herrschaftskritik (Ablinger), treffender kann man es meiner Meinung nicht ausdrücken.

#298: Nazgûl

Wenn mein Sohn einen Zornanfall hat und seine Wut herausschreien möchte, dann klingt er wie ein Nazgûl, ein Ringgeist, aus Herr der Ringe. Ein Schrei, der einem durch Mark und Bein geht und der mich immer dazu bringt in der ganzen Wohnung nachzusehen, ob auch wirklich alle Fenster geschlossen sind.

Ein weiterer Vergleich wäre ja die Schlachtung eines Schweines und wer jetzt fragt, woher ich das weiß, kann leicht aufgeklärt werden. Da meine Großmutter mütterlicherseits einen Bauernhof mit allerlei Tieren hatte, habe ich Schlachtungen von Schweinen durchaus miterlebt, wie auch ihr Ausbluten und Grillen über dem Feuer (stundenlang). Übrigens in dem Buch „100 Punkte hat ein Tag“, wo uns erklärt wird, wie wir jeden Tag die Welt etwas besser machen können und wie wir nachhaltiger leben können, findet ich ein ganzes Kapitel mit dem Inhalt, dass jeder einmal ein Huhn geschlachtet haben sollte. Wobei ein Huhn schreit nicht und generell ist es recht unspektakulär (ich habe hier schon viele Punkte erledigt), aber ich gebe recht, dass es den Blickwinkel auf das eigene Essen verändert. Und ich bin kein Vegetarier.

Aber um zum Schreien zurückzukommen! Es ist furchtbar. Und was das erst für ein Druck in ihm sein muss, dass macht es gleich nochmal furchtbarer, auch für mich.

#297: temperamentvolle Wiener?

Heute hat meine Tochter vermeldet, dass es eh ganz klar ist, dass der Opa Wiener ist, weil er so temperamentvoll ist. Ich musste länger darüber nachdenken, wie sie den Wiener – vor allem meinen Papa – als temperamentvoll sehen kann, grantig, morbide, nihilistisch, sarkastisch, ironisch, mürrisch wären zumindest ein paar passende Adjektive, die mir einfallen würden, aber temperamentvoll?

Aber meine Prinzessin wäre nicht meine Prinzessin, wenn sie es mir nicht erklären würde. Der Opa kann sich wahnsinnig aufregen und dann redet er sich in einen „Strudel“ (aufpudeln könnte man auch dazu sagen), wird auch durchaus laut. Hat für Gegenargumente weder ein Ohr noch Verständnis. Also hat sie nicht ganz unrecht, man muss das Wort Temperament nur anders definieren.
Und schlussendlich liebe ich meinen Papa, der durch seine „ich-finde-für-alles-Gegenargumente“ und „ich-rede-dir-den-Sommer-schlecht“ Art mich immer wieder herausgefordert hat. Es blieb mir einfach nichts anderes über, als ständig dagegen zu reden. Und somit mich zum Denken animiert hat, nichts so einfach hinzunehmen, wie es vielleicht erscheint.

Mein Papa ist wie er ist und ganz gleich, wie er von anderen betrachtet wird, ob temperamentvoll, mürrisch oder mit einem Hang zum Nihilismus. Qualtinger hat es mit dem Nihilismus schon richtig ausgedrückt: „Ich hab zwar keine Ahnung wo ich hinfahre, dafür bin ich schneller dort.“