In meiner Erinnerung war meine Großmutter immer eine Dame. Sie trug nicht nur ihre Handschuhe abgestimmt auf Hut und Tasche, ihre Schuhe und ihre Kleider waren immer in Perfektion auf einander abgestimmt. Als meine Großmutter starb, verlor ich einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben, nicht nur, weil sie meine Großmutter war, sondern so viel mehr.
Aber darum geht es mir jetzt gar nicht. Als ich meinen Vater um die Geburtsurkunde meiner Großmutter bat, da ich mit meinem Bruder Familiengeschichte schnuppern wollte, fiel mir auch die Geburtsurkunde ihrer Tochter Ingrid in die Hand. Ich wußte zwar, dass unser Vater noch eine unbekannte Schwester hatte, aber nie wirklich mehr. Meine Oma hat nie über sie gesprochen und ich erfuhr erst nach ihrem Tod von diesem Mädchen. Es hieß, dass sie sie zur Adoption freigegeben hatte, da meine Großmutter als geflüchtete Sudetendeutsche, selbst noch jung und neu in einer ihr unbekannten Stadt nicht in der Lage war ein Kind groß zu ziehen. Jetzt beim Stöbern durch die alten Dokumente, die alleine durch ihr verblichenes Papier und die schöne geschwungenen Handschriften schon zum Erzählen verleiten, stieß ich auf einen kleinen A5 Zettel und einer Heiratsbestätigung zwischen dem Kindesvater von Ingrid und meiner Großmutter.
Nicht einmal mein Vater wußte davon und ihm ist dieser kleine Zettel auch nie aufgefallen, so winzig und klein und doch so bedeutsam. Für uns Frauen ist es heutzutage nicht vorstellbar, dass der Mann es erlauben musste, dass eine Frau arbeitete oder gar wirtschaftlich eigenmächtig handeln konnte, zu der damaligen Zeit war es so. Und auch bei Trennungen bzw. Scheidungen lag das Machtverhältnis oft so, dass der Vater der Mutter das Kind entziehen konnte. Ohne meine Großmutter idealisieren zu wollen, weiß ich gerade durch die Erzählungen meines Vaters und auch Onkels, wie sehr sie immer um ihre Kinder gekämpft hatte, alles zu ihrem Wohl (ob manchmal gut oder schlecht) tat und sie somit gar keine Wahl hatte, als ihr Kind zu verlieren.
Leider hat sie selbst nie darüber gesprochen, vielleicht aus Angst darüber verurteilt zu werden. Oder auch aus Angst vor den Schuldgefühlen, dem Verlust der verlorenen Jahre und der Erinnerungen. Wir leisten es uns heute zu klagen, wie schlecht es uns heute geht und in welcher Welt wir heute leben. Ich denke, dass wir leider viel zu oft vergessen, dass es noch keine 100 Jahre her ist, dass Frauen keine bis wenige Recht besassen und sich unsere Welt in einer unsicheren Zeit befand.
Liebe Manuela,
bin leider erst heute dazugekommen wieder auf deine Homepage zu gehen. Bin ja ein paar Tage älter, aber ich kann mich noch erinnern das meine Mutter keinen Reisepass für uns Kinder (und sie ist Schweizerin) ohne Zustimmung des Vaters bekommen hätte. Für unsere Generation ist schon vieles selbstverständlich , keiner überlegt mehr wie es wie es vor 100, 50, 20 Jahren war. Und unseren Kinder ist vieles gar keine Überlegung mehr wert. Ehrlich, ich wünsch mir wirklich eine Welt ohne Internet zurück. Davor haben wir auch überlebt 🙂