#319: Gefühle mal anders

In den letzten Monaten habe ich viel gelernt über die Welt meines Sohnes, aber auch über meine Welt und dem, was für uns so selbstverständlich ist.

Hat man ein Kind, dass die Welt anders wahrnimmt, dann versucht man oft dem Kind die „normale“ Welt überzustülpen. So funktioniert sie nun einmal da draussen. So fällt man weniger auf und ist ein Teil der Gesellschaft. Ich weiß noch, wie oft ich gebetsmühlenartig versucht habe, ihm zu erklären, dass gewisse Dinge nun einmal so laufen müssen, wie sie laufen. Rede mit jemanden, wenn du etwas willst oder brauchst. Sei freundlich. Nein Handschuhe im Sommer zieht man nicht an. Es kommt die Winterzeit und es wird kalt, du mußt ein Unterleiberl anziehen.

Überhaupt rede ich sehr viel und erkläre ihm alles, oftmals bis ins kleinste Detail. Wo die Unterschiede liegen zwischen Begriffen, die für ihn qualitativ noch keinen Unterschied erkennen lassen. Als er noch klein war, sagt mir eine Ärztin einmal ich rede zu viel, da er meine Sprache nicht spricht. Ich denke, dass sie recht hatte, was die Sprache betraf, aber nicht mit dem Reden. Als wir in der Soko-Gruppe (Sozialkompetenzgruppe) die Aufgabe bekamen ein Spiel zu spielen, wo es um Gefühle ging, die darzustellen und zu beschreiben sind, war eines offensichtlich. Mein Jr. kann Gefühle großartig und detailliert beschreiben und auch in welchen Situationen sie vorkommen, aber vor allem die negativen Gefühle, wie Ärger, Wut, Zorn sehen für ihn persönlich nicht nur gleich aus, sondern fühlen sich auch gleich an und können nicht differenziert werden. Positive Gefühle werden kaum wahrgenommen, wobei es nicht so ist, dass es diese nicht gibt, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass er diesen Gefühlen misstraut und sie nicht greifen und fassen kann.

Als wir uns im Kino „Alles steht Kopf“ angesehen haben, hat ihm der Film irrsinnig gut gefallen, es war fast so, als ob ihm ein Licht aufgegangen wäre, es war auch das erste Mal, dass er sich selbst als hauptsächlich „rot“ und ab und zu grünen Lichtblitzen beschrieben hat. Wut, Ärger und Zorn werden nach aussen hin sichtbar und erlebbar werden, ganz gleich, ob ich jemanden anschreie, etwas kaputtmache oder ihn körperlich „angreife“. Das Spüren der Emotion wird erlebbar. Glück, Freude und Liebe sind zart, verletzlich und nicht immer greifbar. Deswegen ist es umso schöner, wenn mein Sohn sich auf meinen Schoß setzt und zaghaft seine Hand in Richtung Hals bewegt, um dort liegen zu bleiben. Manchmal wird die Hand auch gedreht, damit jede Seite meine Haut berühren kann.

Heute verstehe ich die Welt anders.

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